Interview: Lukas Voegelin in der Arktis
Der Schweizer Profifotograf war als Teil der Crew von Kontiki-Reisen mit auf Arktis- Expedition. Lesen Sie, was er im ewigen Eis in der Zeit der Mitternachtssonne erlebt hat.
Wie kamen Sie zu dieser Reise?
Der Veranstalter bietet drei Charterreisen pro Jahr an, bei denen man die Arktis erleben kann. In der Fachbegleitung sind sonst Meteorologen und Biologen – einen Fotografen hatten sie bis dato noch nicht an Bord, und es war mir eine Ehre, das machen zu dürfen. Für den Veranstalter habe ich bereits andere Reisen fotografiert, und diese Anfrage war für mich etwas ganz Besonderes und basiert auf einer langen Kooperation mit dem Veranstalter.
Was war Ihre Aufgabe vor Ort?
Als Fachbegleitung war mein Thema „bessere Fotos machen“ – aber mit dem Wissen, dass das keine dezidierte Fotoreise ist. Ich habe Vorträge zum Thema Fotografie gegeben, immer mit dem Hinblick darauf, dass bei den Reisenden alles dabei war von Fotografierenden bis hin zu „ich mache Fotos mit dem Handy“.
Wie sind Sie gereist? Und was enthält eine Charterreise?
Eingebucht war ich in eine normale Kabine, wie die Passagiere auch. Die Kabinen sind klein, aber schön und haben alle Bullaugen – es gibt also keine Innenkabinen auf dem Schiff. Die Reise selbst beginnt ab 9.000 Schweizer Franken. Eine Charterreise enthält dabei auch den Flug ab Zürich – und dieser ist direkt. Nach Spitzbergen müssten Sie sonst sicher einmal, wenn nicht zweimal umsteigen.
Wie groß war das Team neben Ihnen?
Die Expedition-Crew bestand aus etwa 20 Leuten aus verschiedenen Ländern. Viele davon aus den Niederlanden , da das Schiff auch unter niederländischer Flagge fährt. Darunter waren Meeresbiologen, eine Walforscherin aus der Schweiz, aber auch ein Guide aus Deutschland. Die gesamte Schiffscrew waren etwa 70 Leute. Es ist aber keine große Kreuzfahrt mit tausenden Leuten – mitfahren können hier 140 Gäste. Das Schiff ist 107 Meter lang und hat die höchste Eisklasse. Das heißt, dass es kein Eis brechen kann, aber das Eis schieben kann, um problemlos ins Packeis fahren zu können. Das Team hält 24 Stunden Ausschau. Sehen sie um 5:30 Uhr einen Bären, wird das ganze Schiff über die Freisprechanlage geweckt. Ich hatte auch eine Walsichtung mitten in einem meiner Vorträge. Da sind dann erstmal alle hinausgestürmt, und wir haben uns danach wieder zusammengefunden.
Sind Sie auch raus?
Aber natürlich.
Sie sprachen bereits das Packeis an. Was erwartet einen auf dieser Reise?
Die Reise verändert Sie. Sie sind mit der vollen Aufmerksamkeit und ohne Empfang und WLAN dort draußen in der Natur, ohne Möglichkeit davonzukommen. Sie sind zehn Tage einfach weg. Schon vor dem Ablegen wird man darauf hingewiesen, sorgsam mit dem Wasser und den Nahrungsmitteln an Bord umzugehen. So gibt es auch kein riesiges Buffet, sondern das Essen ist abwechslungsreich, aber bewusst knapp – wenn auch absolut ausreichend – gehalten. Jeden Tag wird einem unglaublich viel Wissen mit auf den Weg gegeben, und es gibt Vorträge von unterschiedlichsten Experten, die Sie sich anhören können. Bevor es von Bord geht, werden Sie zudem darauf vorbereitet, wie Sie sich in der Natur verhalten sollen. Sie müssen darauf achten, wo Sie hintreten, dürfen nichts anfassen, keine Blumen ausreißen, die Tiere nicht stören. Man soll keinen Abdruck hinterlassen. Strenge Regeln gelten auch an Bord, wenn gerade Tiere in der Nähe sind: Dann dürfen keine Türen geschlagen werden, und es darf nicht gesprochen werden. Und wenn Sie Glück haben, kommt das Tier näher. Wenn nicht, dann geht es und wird nicht weiterverfolgt. Ein derart bewusstes Reisen fand ich sehr inspirierend.
Was konnten Sie an Wildlife erleben?
Ich hatte das Glück, Eisbären aus der Nähe fotografieren zu dürfen. Eisbären sind die einzigen Tiere auf dem Planeten, die uns aktiv als Futter betrachten. Bei Landgängen sind deshalb immer auch bewaffnete Guides da, die Ausschau halten, ob ein Bär in der Nähe ist. Wird einer gesichtet, wird man sofort evakuiert. An einem Tag hatten wir vier Bären in der Nähe des Bootes. Sie kamen direkt auf uns zu und boten den perfekten Blickwinkel. Dann blieben sie auch noch genau dort stehen, wo sie sich im Wasser gespiegelt haben. So viel Glück hatte ich beim Fotografieren noch nie.
Wie liefen die Ausflüge ab?
Zum einen bekommt man am Morgen einen groben Tagesplan. Allerdings mit Plan B, C und D, da sehr viel vom Wetter abhängt und ob man so durch das Eis kommt, wie es sich die Crew vorstellt. Um von Bord zu gehen, gibt es zudem einige Voraussetzungen. So muss man mehrere Kilometer Sichtweite haben. Bei Nebel und schlechtem Wetter geht das nicht, da Eisbären über Kilometer riechen können und sichergestellt werden muss, dass keine in der Nähe sind. Ist das gegeben, wird man in kleinen Booten an Land gebracht, wo man oft auch im Wasser aussteigt. Dafür bekommt man aber an Bord Gummistiefel für die Reise, die sich auch zum Wandern eignen. An Land kann man sich dann manchmal auch frei bewegen – in einem gewissen Bereich. Dabei haben die Guides immer ein Auge darauf, dass man nicht aus Versehen zu nah an ein Vogelnest oder ähnliches kommt.
Gab es bei Ihrer Reise Planänderungen?
Ja, die Crew wollte eigentlich über Nacht zu den „Seven Islands“ nördlich von Svalbard fahren. Am Morgen waren wir aber woanders, da das Eis es nicht zuließ. Übrigens wären wir dort an den Stränden Abfall sammeln gegangen, wenn es geklappt hätte. Wie die Crew sich den Weg sucht, kann man auch live beobachten. Die Brücke ist immer offen, und man kann jederzeit dorthin. Dort können Sie sich auch selbst ein Fernrohr schnappen und Ausschau halten. Natürlich sollten Sie leise sein und niemanden stören.
Was hat Sie sonst noch begeistert?
Wir haben Walknochen gesehen in der arktischen Eiswüste, die dort seit Jahrtausenden liegen. Sie kamen durch Landverschiebung an die Oberfläche und bleiben durch das vorherrschende Klima gut in Schuss. Was aber wirklich faszinierend ist: Um sie herum ist die Arktis grün und blüht. Komplett abgefahren. Nach all der Zeit geben sie nach wie vor Feuchtigkeit ab und lassen Moos um sich herum wachsen. Wunderschön waren auch die Permafrost-Strukturen, die sich durch Abtauen und Gefrieren über viele Jahre hin gebildet haben. Und die Ruhe. Dort oben geht im Sommer die Sonne niemals unter. Einer der schönsten Momente war, als ich vier Uhr morgens vorne auf dem Schiff stand und einfach dem Knacken des Packeises lauschte. Das ist ein Moment, den ich für immer mitnehmen werde. Dort zu sein, war einfach krass. Es ist wirklich schwer in Worte zu fassen, dabei veranstalte ich selbst Reisen und bin als Reisefotograf schon viel unterwegs gewesen.